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Mode 1860 bis 1869 - Paris macht Mode


In dieses Jahrzehnt fiel modisch das sogenannte Zweite Rokoko. Der Blick richtete sich bewundernd nach Paris, wo eine Entfaltung von großer textiler Pracht, ausgehend vom Kaiserhof, an dem Napoleon III. (1808-1873) mit seiner Gemahlin, Eugénie von Montijo (1826-1920), die Geschicke des Landes in den Händen hielt, auch die modischen. Die Kleidung der Kaiserin – Napoleon III. hatte den Kaiserthron 1852 bestiegen – wurde international zu einem Maßstab. Hinzu kam, dass die Kaiserin ein enges freundschaftliches Verhältnis mit dem österreichischen Botschafterehepaar Metternich verband. Die Kaiserin und die Fürstin von Metternich (1836-1924) tauschten sich intensiv über Modefragen aus. Beide wurden von Charles Frederick Worth (1826-1895) eingekleidet, der 1858 sein Pariser Modehaus eröffnet hatte und dessen Modelle den Damen so gut gefielen, dass er für sie zum Maßstab in Sachen Mode wurde. Der Engländer verstand es, sich als Mode-Künstler zu etablieren, kleidete auch Elisabeth von Österreich (1837-1898) ein, die als Sissi bekannt war. Sein Ideenreichtum und sein exzellente Verarbeitung verschaffte ihm den Status eines Hoflieferanten am französischen Hof. Die modischen Kreationen sprachen sich herum und die modeversessenen Damen nahmen die Reise in das Mode-Mekka auf sich, wussten sie doch, dass sie individuelle Garderobe erwarten durften. Die edlen Materialien, mit denen Worth arbeitete – Tüll, Spitze, Pailletten, Samt, Seide, Brokat u. a. – machten die Kleider so teuer, dass selbst die Damen von hohem Rang den neuesten Trends aus Worths Haus nur folgen konnten, in dem sie Änderungen vornehmen ließen anstatt unentwegt Neuanfertigungen zu bestellen. Worth war absolut en vogue, weil er es verstand, seine Kundinnen mit ausgewogener Silhouette, perfektem Sitz der Kleidung und erlesenen Materialien das Gefühl der Einzigartigkeit zu geben. Alle Kleider waren einmalig. Auf den Bällen fand man ein Kleid von Worth nie zweimal. Der Ruf des Begründers der Haute Couture war außerordentlich. Sein Können und die Wünsche der Damen, die er zu vollster Zufriedenheit zu erfüllen verstand, wurden zu einer Mode-Symbiose mit nachhaltiger Wirkung. Worth konnte es sich zum Ende des Jahrzehnts bereits leisten, mehr als 1200 Näherinnen zu beschäftigen, die dafür sorgten, dass den Damen die Kleider akribisch angepasst und sozusagen auf den Leib geschneidert wurden.
Die Kleider, die in jener Zeit getragen wurden, nahmen im wahrsten Sinne des Wortes viel Raum ein, denn es war die große Ära der KRINOLINE.
Der Unterrock wurde in mehreren, horizontalen Rundungen mit Rosshaar durchzogen. Diese Rundungen wurden nach unten hin immer größer, der Unterrock wurde dadurch enorm schwer, bekam aber durch diese Versteifung eine ungeheuere Weite. Der kuppelförmige Umriss des Rockes, der in dieser Art schon seit etwa 1840 getragen wurde, jetzt, im Zweiten Rokoko vollends zur Blüte gelangte, erforderte für den Überrock entsprechend viel Material, das kunstfertig drapiert und aufgeputzt wurde. Während des Jahrzehnts veränderte sich die runde Rockform in eine ovale. Außerdem wurden allmählich auch Stahlreifen darunter benutzt, die nicht ganz so schwer waren. Die große Zeit der Krinoline ebbte um 1867 allmählich ab und wurde schließlich 1869 fast vollständig durch die Turnüre ersetzt, die dann vor allem das Gesäß betonte.
Die Zeit der Krinoline war eng verbunden mit dem Korsett. Dieses textile Gefängnis, gegen das der Philosoph und Schriftsteller Friedrich Theodor Vischer (1807-1887) wetterte und es als Übertreibung beschimpfte, die die Schönheit der schlanken Linie nicht betonte, sondern verzerrte, weil urplötzlich jede Frau die gleiche Silhouette hatte und sich damit auch noch einen gesundheitlichen Schaden antat. Die Krinoline wurde von Vischer als impertinent bezeichnet und in diesem Zusammenhang geht auch auf ihn der Begriff von der „Tücke des Objekts“ zurück.
Die Kleider des Jahrzehnts hatten waren zwar in ihrer Grundsilhouette in allen Gesellschaftsschichten ähnlich, die Oberteile variierten jedoch je nach Anlass und Tageszeit. Ein Ausschnitt, der die Schultern zeigte, war ebenso möglich wie ein kleines spitzes Dekolleté oder eine hochgeschlossene Variante. Auch die Ärmelschnitte ließen zahlreiche Varianten zu. Am Unterarm waren sie meist anliegend. Die Auspuffungen und ballonartigen begannen erst ab dem Ellenbogen. Es gab Kleider, die durch einen halben Ärmel bestachen und es gab Kleider, die durch eine lange Ärmelschleppe auffielen. Je nach Wetter und Anlass wurden über diese riesigen Krinolinenkleider halblange Mäntel getragen. Mit Hut und Fächer war Frau letztendlich perfekt gekleidet, auch wenn sie dabei durch das Korsett kaum Luft bekam. Doch die weiten Kleider mit dem schweren Unterbau waren ohnehin nur zum „Schönsein“, nicht etwa zum Arbeiten gedacht, denn die Bekleidung der Frau aus dem Volke war schlicht. Die langen Röcke fielen locker zu Boden und ein Korsett war nicht für jede einfache Frau erschwinglich. Notgedrungen war die Mode der normalen Bevölkerungsschicht dadurch auch ein wenig gesünder.

Herrenmode
Die Mode der Männer durchlief nur wenige Wandlungen. Das war auch im Jahrzehnt von 1860 bis 1869 nicht anders. Die Herren hatten berufliche Verpflichtungen, gingen einer Arbeit nach und legten großen Wert auf sachliche Schlichtheit. Neben den Damen wirkten die Männer geradezu unauffällig. Dafür sorgten auch die gedeckten Farben, die sie für ihre Garderobe bevorzugten. Die Mode hatte einfach keine Macht über den Mann, während die Frauenwelt jedem Trend nachrannte. Je bunter und augenscheinlicher die Damengarderobe wurde, desto zurückhaltender kleideten sich die Herren, erst recht, wenn sie beispielsweise im Kontor bei einer Schreibtischarbeit sitzen mussten. Im Alltag sah man die Herren zum Anfang des Jahrzehnts noch im traditionellen Frack, mit einer Weste, die entweder durch Schottenkaros oder einen von den sonstigen dezenten Farben abstechendes buntgefärbtes Material auffielen, darunter ein schlichtes helles Hemd, das mit einem Halsschmuck versehen war, der ein gebundenes Tuch als Vorläufer der Krawatte war. Außerdem kam ein Kragen zum Anknöpfen auf. Die Hosen waren bodenlang und gerade geschnitten. En vogue war es, einen Zylinder zu tragen. Damit war Mann schon perfekt gekleidet und an Eleganz mangelte es ihm durchaus nicht. Weniger war mehr und der Herren Blick richtete sich nicht gen Paris, sondern nach England. In den Jahren von 1860 bis 1869 war auch ein Sakko schon angesagt, wobei hier der Kragen und die Ärmel mit glänzendem Atlas-Stoff abgesetzt sein konnten. Es verdrängte den Frack, der schließlich nur noch zu festlichen Gelegenheiten aus dem Schrank geholt wurde. Einen Wandel erfuhr die Männermode lediglich durch den Herrenanzug, der zu Beginn des Jahrzehnts in Mode kam und bei dem alle Teile (Rock, Weste und Hose) in jedem Fall ein und dieselbe Farbe hatten und dessen Teile sich auch in den Materialien glichen. Rundum vollständig war der Herr von Welt mit einem Stöckchen, das dann oft mehr Verzierungen aufwies als die Kleidung selbst.
In den eigenen vier Wänden erlaubte Mann sich durchaus Farbtupfer und edle Materialien. Die Hausröcke waren prachtvoll, waren aus Damast gefertigt, auch Samt oder Kaschmir kam hier zum Einsatz.

Die Kinderbekleidung
Meist trugen nur die Mädchen der gehobenen Gesellschaft lange Kleider, die dem Ebenbild der erwachsenen Damenmode glichen. Doch die meisten Kinder, deren Frisuren übrigens ebenso denen der Mütter ähnelten, durften knielange Modelle tragen. Sie konnten sich mit Söckchen oder Kniestrümpfen gut und relativ frei bewegen. Der kleine Körper wurde auch noch nicht konsequent in ein Korsett gezwängt. Die Buben waren modisch natürlich auch ein Ebenbild des Vaters. Eine spezielle Kindermode, die den Kleinen Ungezwungenheit und Bewegungsfreiheit ihrem Alter gemäß erlaubt hätten, gab es in jener Zeit noch nicht.
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